Die Debatte um die Legalisierung von Cannabis wird oft von gesundheitlichen Bedenken begleitet – insbesondere im Hinblick auf mögliche psychische Auswirkungen.
Neue Forschungsergebnisse zur Wirkung der Cannabisfreigabe

Häufig genannt wird das Risiko für die Entstehung von Psychosen. Doch aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen aus Kanada und den USA zeichnen ein differenzierteres Bild: Sie konnten keine signifikanten Zusammenhänge zwischen der Legalisierung und einem Anstieg psychotischer Erkrankungen feststellen. Die Befunde widersprechen damit gängigen Vorurteilen und Mythen, die sich hartnäckig in öffentlichen Diskussionen halten.
Studienlage in den USA: Keine signifikante Zunahme von Psychosen nach Legalisierung
Design und Methodik der US-amerikanischen Untersuchung
Eine umfassende US-amerikanische Kohortenstudie, veröffentlicht im Journal of the American Medical Association (JAMA), untersuchte Daten von über 63 Millionen Versicherten im Zeitraum von 2003 bis 2017. Dabei wurden medizinische und medikamentöse Diagnosen in Zusammenhang mit psychotischen Erkrankungen analysiert. Die Forschenden verglichen Bundesstaaten mit und ohne medizinische beziehungsweise freizeitbezogene Cannabisgesetze – jeweils unter Berücksichtigung der Marktöffnung (also ob Cannabisgeschäfte tatsächlich betrieben wurden).
Ergebnisse: Keine statistisch signifikanten Steigerungen
Die Analyse zeigte, dass es in Staaten mit Cannabisgesetzen – unabhängig davon, ob diese medizinischen oder freizeitlichen Konsum betrafen – keine signifikanten Zunahmen bei psychotischen Diagnosen oder der Verschreibung von Antipsychotika gab. Die berechneten Rate Ratios (RR) bewegten sich stets im Bereich statistischer Unsicherheit (z. B. RR für Freizeitkonsum mit Verkaufslizenzen: 1,39 bei einem Konfidenzintervall von 0,98 bis 1,97), was darauf hindeutet, dass keine belastbaren Unterschiede nachgewiesen werden konnten.
Ausnahmen: Erhöhte Diagnosehäufigkeit in bestimmten Bevölkerungsgruppen
Lediglich in explorativen Zusatzanalysen fanden sich Hinweise auf erhöhte Diagnoseraten bei Männern, Menschen im Alter von 55 bis 64 Jahren sowie bei Personen asiatischer Herkunft in Bundesstaaten mit legalisiertem Freizeitkonsum. Diese Befunde bedürfen jedoch weiterer Forschung, um mögliche kausale Zusammenhänge zu bestätigen oder auszuschließen.
Kanadische Daten: Strenge Marktregulierung mit stabiler psychischer Gesundheitslage
Studie aus Ontario: Methodik und Beobachtungszeitraum
Auch in Kanada wurde der Effekt der Legalisierung auf die psychische Gesundheit untersucht. Eine Studie aus Ontario wertete im Rahmen eines sogenannten „interrupted time-series“-Designs bevölkerungsbezogene Gesundheitsdaten aus der Zeit von Januar 2014 bis März 2020 aus. Im Fokus standen ambulante und stationäre Behandlungen, Notaufnahmen sowie die Häufigkeit neu diagnostizierter psychotischer Störungen. Der Beobachtungszeitraum nach der Legalisierung umfasste 17 Monate und war durch strenge Marktregulierungen geprägt (begrenzte Produktverfügbarkeit, geringe Anzahl an Verkaufsstellen).
Keine kurzfristigen Auffälligkeiten nach Freigabe
In der unmittelbaren Folge der Legalisierung ergaben sich keine Hinweise auf einen Anstieg der Gesundheitsinanspruchnahme oder eine Zunahme von psychotischen Neuerkrankungen. Die Inzidenz psychotischer Störungen blieb im Vergleich zum Vor-Legalisierungszeitraum stabil.
Langfristige Trends: Anstieg substanzinduzierter Psychosen unabhängig von Legalisierung
Interessanterweise zeigte sich über den gesamten Zeitraum von 2014 bis 2020 ein kontinuierlicher Anstieg substanzinduzierter Psychosen. Dieser Trend setzte jedoch bereits Jahre vor der Cannabisfreigabe ein und lässt sich daher nicht eindeutig auf die Gesetzesänderung zurückführen. Die Studienautor*innen betonen, dass eine umfassendere Bewertung erst nach längerer Beobachtungsdauer unter Berücksichtigung der kommerziellen Marktausweitung möglich ist.
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Kritische Betrachtung früherer Warnungen
Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität
Zahlreiche ältere Studien wiesen auf einen Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und einem erhöhten Risiko für psychotische Erkrankungen hin. Dabei wurde jedoch häufig nicht ausreichend differenziert zwischen Korrelation und Kausalität. Insbesondere bei psychisch vorbelasteten Personen kann Cannabis als eine Art „Trigger“ fungieren, ohne jedoch die alleinige Ursache darzustellen.
Niedrige Prävalenz cannabisinduzierter Psychosen
Eine weitere Untersuchung ergab, dass weniger als 1 % aller Cannabiskonsument*innen psychotische Symptome entwickelten – ein Wert, der sogar unterhalb der durch Alkohol verursachten Raten liegt. Diese Erkenntnisse relativieren die populäre Annahme, dass der Konsum von Cannabis automatisch zu schweren psychischen Erkrankungen führe.
Forschungsperspektiven und politische Implikationen
Langzeitbeobachtungen erforderlich
Ein zentrales Fazit beider Studien ist die Notwendigkeit längerfristiger Analysen. Gerade weil der Markt für Cannabisprodukte in den Jahren nach der Legalisierung erheblich expandiert, ist es wichtig, die Entwicklungen weiterhin aufmerksam zu beobachten. Erst mit entsprechenden Langzeitdaten lassen sich valide Aussagen über die gesundheitlichen Folgen treffen.
Legalisierung nicht gleich Deregulierung
Sowohl in Kanada als auch in vielen US-Bundesstaaten erfolgte die Freigabe von Cannabis unter strengen Auflagen. Diese regulatorischen Maßnahmen könnten einen schützenden Effekt auf besonders vulnerable Bevölkerungsgruppen haben. Die Studien zeigen somit auch, dass eine verantwortungsvolle Gesetzgebung entscheidend für den gesundheitspolitischen Erfolg einer Legalisierung ist.
Entstigmatisierung durch evidenzbasierte Politik
Die aktuellen Studien leisten einen wichtigen Beitrag zur Versachlichung der Debatte. Eine evidenzbasierte Bewertung der Risiken und Nutzen von Cannabis trägt dazu bei, alte Stigmata zu hinterfragen und realitätsnahe Rahmenbedingungen für Konsum, Aufklärung und Prävention zu schaffen.
Fazit: Keine Panikmache – differenzierter Blick erforderlich
Die vorliegenden Studien aus Kanada und den USA zeigen deutlich, dass die Legalisierung von Cannabis nicht automatisch mit einem Anstieg psychotischer Erkrankungen einhergeht. Zwar sind weitere Langzeitstudien erforderlich, doch bislang lässt sich kein kausaler Zusammenhang nachweisen. Eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema sollte Vorurteile abbauen und einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Substanz ermöglichen – sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene.
Quelle / Infos: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36696111/ und https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0955395923003328?via%3Dihub
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Autor und Bild: Canna-Chad Gregor Paul Thiele
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