Im Jahr 2024 sorgte das oberste Bundesgericht Brasiliens für internationales Aufsehen, indem es den Besitz von bis zu 40 Gramm Cannabis für den Eigengebrauch entkriminalisierte.
Brasiliens Cannabis-Entkriminalisierung: Fortschritt oder Rückschritt?

Diese Entscheidung wurde Anfang 2025 einstimmig bestätigt und brachte Hoffnung auf eine progressive Drogenpolitik. Doch die Realität hinter der offiziellen Haltung sieht anders aus, als es auf den ersten Blick erscheinen mag.
Neue Wege: Gesundheitszentrierte Cannabis-Politik in Brasilien?
Im Zuge dieser Veränderung arbeiten derzeit das brasilianische Justizministerium und der Nationale Justizrat intensiv an einer Neugestaltung der nationalen Drogenpolitik. Als Vorbild dient offiziell das portugiesische Modell, das als eines der erfolgreichsten weltweit gilt. Im Zentrum stehen dabei die sogenannten CAIS (Centros de Acesso a Direitos e Inclusão Social), multidisziplinäre Zentren, die den Nutzern sozialer Randgruppen Zugang zu essentiellen Dienstleistungen bieten sollen.
Portugal als Vorbild – aber mit fragwürdigen Anpassungen
Portugal gilt als Paradebeispiel einer erfolgreichen Drogenpolitik, da es dort nicht nur um Entkriminalisierung geht, sondern auch um umfassende Investitionen in Aufklärung und Schadensminimierung. Doch Brasiliens Umsetzung entfernt sich stark von diesem Vorbild. Während Portugal Behandlungen nur freiwillig durchführt und konsequent in Präventionsprogramme investiert, ist Brasiliens Ansatz von Unsicherheiten geprägt.
Therapie statt Gefängnis – ein fragwürdiger Tausch
Das neue brasilianische Modell sieht vor, dass Personen, die Cannabis besitzen, anstatt ins Gefängnis in CAIS-Zentren verwiesen werden. Dort werden sie von Teams aus Sozialarbeitern, Gesundheitspersonal und juristischen Assistenten bewertet. Dies mag auf dem Papier human wirken, doch in der Praxis drohen problematische Konsequenzen.
Zwangstherapien und fehlende Wahlfreiheit
Ein kritischer Punkt ist die fehlende Klarheit darüber, ob der Besuch der CAIS-Zentren freiwillig oder verpflichtend ist. Bisher schweigt die Regierung zu der Frage, was passiert, wenn Betroffene nicht zu ihren Terminen erscheinen oder die Teilnahme verweigern. So könnte eine gut gemeinte Maßnahme schnell zur Zwangstherapie führen.
Therapeutische Gemeinschaften: Humanitäre Bedenken und politische Interessen
Aufgrund überlasteter öffentlicher Einrichtungen werden Betroffene oft an private, meist religiös geprägte „therapeutische Gemeinschaften“ weitergeleitet. Diese Zentren stehen seit langem in der Kritik, da dort Menschenrechtsverletzungen, Zwangsarbeit und Missbrauch häufig vorkommen. Problematisch dabei ist, dass viele dieser Zentren wirtschaftliche und politische Verbindungen zur aktuellen Regierung haben und somit von öffentlichen Mitteln profitieren.
Lula da Silva und die widersprüchliche Drogenpolitik
Präsident Luiz Inácio Lula da Silva präsentiert sich international gerne als progressiver Politiker. Gleichzeitig werden jedoch Fördergelder an Einrichtungen vergeben, die Zwangsmaßnahmen unterstützen. Die Entlassung der ehemaligen Gesundheitsministerin Nísia Trindade, die sich für eine evidenzbasierte und humane Drogenpolitik stark machte, unterstreicht diesen Widerspruch deutlich. Ein Bericht ihrer Amtszeit, der die Abschaffung solcher Einrichtungen empfahl, wurde mittlerweile sogar von Regierungswebseiten entfernt.
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Risiko sozialer Diskriminierung und Missbrauch
Brasilien hat historisch gesehen enorme Probleme mit sozialer Ungleichheit, was sich in der Umsetzung der Drogenpolitik widerspiegelt. Besonders betroffen sind schwarze, arme und marginalisierte Gruppen, die von Polizei und Justiz häufig besonders hart behandelt werden. Die Gefahr ist groß, dass gerade diese Personengruppen vermehrt unfreiwillig zu Therapien gezwungen oder kriminalisiert werden.
Massive Lücken im sozialen Netz
Aktuell existieren lediglich 22 CAIS-Zentren, während nahezu 100 weitere erst in Planung sind. Das zeigt deutlich, dass Brasiliens neuer Ansatz derzeit gar nicht die Infrastruktur besitzt, um umfassend und individuell auf die Bedürfnisse von Cannabis-Nutzern einzugehen. Erste Überlegungen, Evaluationen per Videokonferenz durchzuführen, deuten auf einen Mangel an echter persönlicher Betreuung und Betreuungskapazitäten hin.
Historische Fehler drohen sich zu wiederholen
Bereits 2006 versuchte Brasilien unter Lula da Silva eine ähnliche Reform, die aber letztlich zur dramatischen Zunahme von Inhaftierungen führte, da viele Menschen als Händler statt Nutzer verurteilt wurden. Heute sind über 888.000 Menschen in Brasilien inhaftiert, etwa ein Viertel davon aufgrund von Drogendelikten. Genau diese Problematik könnte erneut auftreten, wenn Polizei und Justiz weiterhin willkürlich zwischen Besitz und Handel unterscheiden.
Brasilien benötigt echte Reformen, nicht bloße Kosmetik
Eine wirklich wirksame Reform benötigt dringend mehr als nur kosmetische Änderungen. Wichtig wäre eine umfassende Investition in präventive Programme, schadensmindernde Maßnahmen und eine Abkehr von stigmatisierenden Botschaften. Cannabis-Konsum sollte als gesellschaftliche Realität akzeptiert und entsprechend behandelt werden, ohne Menschen in unfreiwillige und missbräuchliche Behandlungen zu drängen.
Die aktuelle Reform bietet die Chance auf echte Veränderung – aber nur, wenn Menschenrechte und Freiwilligkeit tatsächlich im Mittelpunkt stehen.
Quelle / Infos: https://filtermag.org/brazil-marijuana-decriminalization-policy-cais/
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Autor und Bild: Canna-Chad Gregor Paul Thiele
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