Im Jahre des Herrn 1992 (genauer gesagt am Tage der Ermordung desselben) weilte die Sippe derer von Ernst zum allerersten Male in Dorf Tirol
Südtirol-Tagebuch Ernst-Clan 1998 – 2001 Teil 1 Prolog ( 06.06.1998) Dorf Tirol
Der Verfasser dieser Zeilen hatte zum damaligen Zeitpunkt noch nicht die Eingebung, ein Tagebuch zu führen. Erst am Anfang diesen Jahres (1998) wurde ihm bewußt, daß einer der mächtigen Herren des Clans die Aufgabe zu erfüllen hatte, die legendären Begebenheiten im Wort festzuhalten, die alljährlich im Juni bzw. Ende Mai dort passierten. Allzu spät war er dran, denn vieles was der Niederschrift würdig gewesen wäre, ist nun schon einige Zeit her und aus diesem Grunde natürlich nicht mehr so klar und genau wiederzugeben. Dazu gehören einige legendäre Begebenheiten, die im Kreise der Familie oft und gerne erzählt werden.
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Eines dieser herausragenden Dinge ist zum Beispiel „Der Herr des Ringes“. Laut Überlieferung geschah dies im Jahre 1996. Junker Michael von der Burg, mittlerweile verlobt mit dem Edelfräulein Nina von M., sprach gleich nach der Ankunft zusammen mit dem Verfasser (Oheim Marko von Lippertsgrün) allzu schnell sowohl dem Gerstensafte als auch dem Rebenextrakt zu. Die Abrundung des ganzen bildete das hauseigene Feuerwasser, das einen sehr hohen Stärkegrad aufwies. Als dann die beiden Freiherrn ein Spiel der teutonischen Fußballmannschaft verfolgen wollten, hatte der Oheim bereits Mühe, sich auf eines der vier angebotenen Bilder zu konzentrieren.
Der Junker Michael meldete sich pflichtbewußt bei seinem Onkel ab (er verspürte ein eindeutiges Leibgrimmen), was dieser in seinem durchgeistigten Zustand allerdings sofort wieder vergaß. Als man nach dem Junker fragte, machte sich Marko von Lippertsgrün sofort besorgt auf, um ihn zu suchen.
Seine Forschungstätigkeit hatte allerdings ein urplötzliches Ende, als er ein unüberwindliches Hindernis erspähte: Sein Bett. Er beschloß, dort ein wenig nachzudenken, wo er denn am besten suchen sollte. Darüber schlief er ein. Nur die beharrliche Suche von gleichfalls im Haus wohnenden Neubundesländerangehörigen deckte das mysteriöse Verschwinden des Jungfärbers auf.
Vermutlicherweise hatten unbekannte Täter ihn überwältigt, bewußtlos geschlagen und ihn auf dem Abtritt deponiert, wo er dann für mehrere Stunden ruhte. Beharrliches Klopfen seiner besorgten Muhme riß ihn jedoch aus seiner tiefen Lethargie. Größtes Problem für den erweckten Herren war von hier an, sein mit der Brille eins gewordenes und tief in die Schüssel gequollenes Hinterteil aus dieser zu befreien. Eine mehrstündige Sitzung hinterläßt gemeinhin einen tiefen Eindruck, der in unserem Falle ein großer kreisrunder Ring war. So viel zum „Herrn des Ringes“…
Die nächste Legende heißt: „Der Finger“.
Herr Fredewart von Zelchingen wollte eines schönen Abends, nachdem er stundenlang versucht hatte, seinen Wein mit Obstler zu verdünnen, seine Meinung zu einem besprochenen Problem kundtun. Aus diesem Grunde hob er mahnend den Zeigefinger der rechten Hand, um einen profunden Beitrag zu leisten. Allerdings wurde er just in diesem Moment von seinem Eheweib, Andrea von Zelchingen, unterbrochen. Hernach saß er noch mehrere Stunden so da (d. h. mit erhobenem Finger), bevor ihm beschlossen wurde, seinen Einwand zu vergessen und sich zur Ruhe zu begeben.
Der nächste Punkt in der Ahnenreihe ist die Begebenheit „Bärhard Fär-Bär“. Der Burgherr der Burg zu Selbitz beschloß eines Abends, die restlichen Teilnehmer bei dem Unterfangen, sich tierisch zu besaufen, nicht mehr zu unterstützen und sich statt dessen zur Ruhe zu begeben. Die Krakeler ließen sich davon aber nicht abhalten, sondern brachten ihr Vorhaben erfolgreich zu Ende. Nach vollbrachter Arbeit gedachten sie jedoch des müden Recken und legten ihm eine Festtrophäe der Hausherrin (einen lebensgroßen Bären) aufs Lager. Der Burgherr ignorierte dies jedoch majestätisch und stellte sich weiterhin schlafend. Von diesem Tage an konnte Gerhard jedenfalls behaupten, den größten Bären aller Zeiten im Bett gehabt zu haben.
„Fahre mit die Busse“:
Eines Abends weilte der Clan in einem örtlichen Weihkeller. Nachdem das edle Getränk in Strömen geflossen war, hatte niemand mehr Lust, den beschwerlichen Weg zu Fuß nach Hause zu gehen. Zum Glück war Fredewart zu dieser Zeit bereits im Besitz einer luxuriösen amerikanischen Droschke, die für sieben Personen ausgelegt war. Man sagte sich, wo Platz für sieben ist, passen auch noch mehr hinein. Und so kam es dazu, daß schlußendlich ca. 20 Personen
(incl. der mitgenommenen Besucher: Webereibesitzersehepaar Josefus Wiwoff und Margitta von und zu Hildener) plus deren ziemlich sperrige Räusche im Wagen Platz nahmen. Als man sich dann im Sauseschritt der Unterkunft näherte, sangen alle das fränkisch-nigerianische Volkslied „Fahre mit die Busse“ von Augustine „Jay-Jay“ Okocha.
Man könnte noch viel erzählen von doppelten Opas, ungehobelten Purchen, Helge Färber, vierbeinigen Hildnerinnen, einem teilzensierten Videofilm mit Flaschenöffnern, Servietten und Zöpfen, mumifizierten Tortenstücken und Präsidenten mit Lottotüten, aber dies würden den Rahmen dieses Prologes sprengen. Jeder für sich hat eigene Erinnerungen an diese Geschichten (oder auch nicht…) und weiß genau, worum es geht. Und jetzt steigen mir ein in das aktuelle Tagebuch.
Samstag, 06. Juni 1998 Südtirol / Dorf Tirol
Man traf sich wie jedes Jahr im Burghof der Färbers. Abfahrtszeit war für 4.00 Uhr in der Frühe anberaumt, was wundersamerweise auch eingehalten werden konnte (trotz der Teilnahme der Präsidentenfamilie abzüglich des Präsidenten). Leider mußte man dann wegen totaler Unkenntnis des örtlichen Autobahnzubringerwesens einen Umweg machen, was die Wahl des Treffpunktes zu totaler Scheiße werden ließ (zumindest für dieses Jahr). Bis Innsbruck geschah dem Troß der Familie keinerlei Unheil. Ab diesem Punkt war die Begeisterung über die erneute Anreise der gefährlichsten Reisegruppe der Welt aber derart groß, daß es wie schon oft zu gigantischen Behinderungen durch jubelnde Fans und flüchtende Anwohner kam. Durch geschickte Schachzüge kam man aber trotzdem recht frühzeitig im Dorf an. Wildbret konnte jedoch in diesem Jahr auch unter größten Anstrengungen nicht erlegt werden. Beim mittäg-lichen Essen traf man den Herrn Sammer von Dortmund wieder, den man schon vor einigen Jahren erfolgreich missionieren konnte. Nachmittags begab sich der größte Teil dann zur Ruhe, um sich auf den Abend vorzubereiten. Einer der wenigen, die darauf verzichteten, war Junker Ben von Zelchingen. Dieser hatte vielmehr den Plan, einen neuen Stunt vorzubereiten, der ihn eines Tages zu großer Berühmtheit bringen sollte. Doch außer einem Sandwich Liegestuhl-Mensch-Liegestuhl wurde nichts großartiges daraus. Nachdem das Südtiroler technische Hilfswerk ihn nach mehreren Stunden befreien konnte, wendete man sich dem Plan für den ersten Abend zu: Trinken, hebräische Volksweisen singen,
trinken, hebräische Volksweisen singen, trinken usw. Junker Volker vom Grunde nahm aus eben diesem soviel Inspirationswasser zu sich, daß sein Magen später auf den restlichen Inhalt verzichtete und sich selbständig auf umgekehrtem Wege davon trennte. Fräulein Birgit von der Burg hatte vorher bereits eine prophetische Eingebung, da sie meinte, in einem nicht näher benannten gefliesten Bereich „Breche“ entdeckt zu haben. Dies wurde dann einmütig zum „Wort des Tages“ ernannt.
„Breche !!!!!!!“
Sonntag, 07. Juni 1998 Dorf Tirol / Thurnstein
Nachdem sich die Erschöpfung des Vortages bzw. Vorabends gelegt hatte und man ein erstes Südtiroler Frühstück eingenommen hatte, machte man sich auf den Weg zum Thurnstein. „Einlaufen“ war die Devise des Gefolges.
Obwohl der Himmel eine üble Farbe angenommen hatte, war man guten Mutes. Trockenen Fußes kam man auch am Ziel an und der dortige Schankmeister war so freundlich, der Riege einen Platz im Garten zu bereiten, da die Sonnenterrasse von minderwertigen Bustouries besetzt war. Allerdings wollte man am ersten richtigen Urlaubstag nicht gleich grimmig werden und das Pack übers Geländer werfen. So zeigte man sich gnädig und nahm das Angebot des Mundschenkes zwar grollend aber doch an.
Als man ein bis zwei Gerstensäfte eingenommen hatte, mahnte der Zeiger des Chronographen und auch das Magenknurren einiger Sippenmitglieder zum Aufbruch. Fräulein Birgit (man erinnere sich des Wortes „Breche“) schlug vor, aufgrund der dräuenden Wolkenmasse doch den allgemeinen Droschkenkarren für den Heimweg zu nutzen. Allgemeines Hohngelächter und die Androhung von Schlägen brachten sie jedoch allzu schnell zum Schweigen. Kaum war man dann zehn Minuten unterwegs, zeigte sich das Wetter (das man am Vorabend noch unter Anwendung von grimmigen Wetterflüchen in die Schranken weisen konnte) von seiner üblen Seite und öffnete die Himmelsschleusen. Ein wolkenbruchartiger Wolkenbruch brach wolkenbruchartig über die edle Gesellschaft herein und man rettete sich gerade noch in das standesgemäße Schloß Tirol. Dort mußte man wiederum feststellen, daß eine Bande respektloser Gesellen alle Plätze für sich beanspruchte. Wieder zeigte man sich milde gestimmt und nahm keine Strafmaßnahmen vor.
Als man eine Weile vor dem Eimerregen Schutz gesucht hatte, gelangte plötzlich ein dringendes Hilfegesuch an das Ohr des stellvertretenden Vizereiseältesten. Ein aufdringlicher Anhänger der Familie aus WI (lt. Kennzeichen) wollte wohl die Aufmerksamkeit des Clans erregen und versuchte in Colt-Seavers-Manier seine Kutsche rückwärts auf einer Mauer zu plazieren. Dies mißlang gründlich – doch der Wagenlenker bemerkte dies erst, als seine ihm gesetzlich Zugemutete bereits aus dem Gefährt gestürzt war. Nachdem laute „Hundertzwölf, hundertzwölf….“-Rufe an das Ohr der Gruppe gelangten, eilten die edlen Recken unter Mißachtung des sturzbachartigen Regens hinzu und befreiten den Oberhofnarrenanwärter aus seiner mißlichen Lage.
Kurze Zeit später setzte man den Weg Richtung Dorf fort und wurde nochmals kräftig durchweicht. Doch war man an diesem Tage derart huldvoll gestimmt, daß auch dies der Stimmung keinen Abbruch tat. Und als auch noch die fürstliche Fußballmannschaft den Aufstieg in die Bundesliga perfektionierte, konnte man am Abend in der ebensolchen Unterkunft die dazugehörigen Feierlichkeiten zelebrieren.
Die Ankündigung des Tages traf Frau Inge. Sie verkündete allgemeingültig: „Eich bobbl jetz amoll!“.
Die Frage des Tages war: „Volker, wu issn mei Geldbeidl??“.
Montag, 08. Juni 1998 Meran / Tappeinerweg
Der fürstliche Plan für diesen Tag (eine Erkundungs- und Huldigungswanderung via Tappeinerweg nach Meran) wurde durch das wiederum sackdumme Wetter leider zunichte gemacht. Ein Teil der Sippe wäre zwar in entsprechender Rüstung trotzdem gegangen, aber auch diese fügten sich dann dem weisen Ratschluß der Stammesältesten. Nach kurzem Sit-in bestieg man dann die Rösser und ritt gen Lana, um dort auf dem örtlichen Markt einige Vorräte zu kaufen. Gerhard, Earl of Burg, hatte dann das Verlangen, eine Fleischhauerei anzureiten, wo er Speck und sonstige Spezereien erwerben wollte. Beim ersten Anlauf sah der Handwerker die wilde Truppe jedoch kommen und verrammelte flugs furchtsam das Tor. Da die Gesellschaft aber ziemlich ausgehungert war, ließ man Mistgabeln und Fackeln im Wagen und suchte sich einen Trog zum Äsen. Nach einer kurzen Irrfahrt durch die Berge von Naturns wurde auch etwas ansprechendes gefunden. Die Speisen dort waren wohlschmeckend und reichlich, jedoch hatte der dortige Wirt wohl irgendwo einen ranzigen Bock oder ein sonstiges Aastier vergessen, weil dort so viele Fliegen unterwegs waren, daß teilweise der Himmel schwarz war. Gestärkt ritt man erneut zur Schlachterei; schlich sich diesmal jedoch aus der anderen Richtung an. Diesmal hatte unser Haufen Erfolg. Die dort aufwartende Magd schnitt wegen ihres schlechten Gewissens hurtig eine Speckseite auf, um die Landser zu besänftigen. Dies zeitigte auch die erwünschte Wirkung. Junker Dominik (zu diesem Zeitpunkt in lustiger Spaßlaune) wollte nun das zur Fleischerei gehörige Werbeschwein besteigen, um sich dort porträtieren zu lassen. Er versuchte, sich in bewährter Rodeo-Manier emporzuschwingen, rutschte allerdings relativ kläglich an der Seite des Tieres wieder herunter. War auch lustig.
Auf der Heimfahrt besserte sich das Wetter zusehends und das für den Abend geplante Verspeisen von an der Verwesung verhinderten Leichenteilen, die man zuvor über dem Feuer gegart hatte, konnte stattfinden. Besonderen Verdienst erwarb hier Obergrillkappo Gerhard Bärhard Färber, der das edle Fleisch äußerst wohlschmeckend zubereitete. Was so ein guter Grillmeister wert ist, zeigte sich bei einer seiner kurzen Pausen. Sein Sohn und dessen Oheim übernehmen jetzt für diesen Augenblick die Grillgabel, zeigten sich dieser Aufgabe jedoch nicht gewachsen. Als sie nämlich für ca. eine Minute durch die Einnahme eines Feuerwassers abgelenkt waren, ließen sie das kostbare Mahl so lange garen, daß es Anthony Jeboah im Gesicht hätte tragen können, ohne daß es aufgefallen wäre.
Der Hilferuf des Tages kam von Junker Ben, als er Fräulein Annemarie derart in der Schaukel verwirbelt hatte, daß wiederum das Südtiroler THW ausrücken mußte, um das Kind zu befreien. Die Clankasse muß im nächsten Jahr vermutlich für eine größere Spende an diese Organisation verwendet werden, wenn Ben bzw. Rugald so weitermacht.
Dienstag, 09. Juni 1998 Algunder bzw. Marlinger Waalweg
Endlich war uns das Wetter wohl gesonnen!! Es herrschte verbreitete Aufbruchstimmung und eigentlich wollte man das familieneigene Gut Longfallhof kontrollieren. Einige Mitglieder waren jedoch aus diversen Laschheitsgründen nicht gewillt, den Aufstieg dorthin selbständig durchzuführen. Träger bzw. Sherpas waren nicht vorhanden und so mußte eine neue Zielwahl getroffen werden. Man einigte sich dann auf den Algunder bzw. Marlinger Waalweg, da diesen auch Krasnajorska Kommunistschenko, die älteste Frau der Welt (196 Jahre) locker bewältigen konnte. Aber trotzdem ist der Waalweg ein echt guter Wandergang. Es lief auch alles gut, bis die ersten aus der Gesellschaft einen brennenden Durst verspürten. Als einige an der ersten Schenke Einkehr halten wollten, erhob der Oheim Marko den Einwand, daß ein Stück weiter eine ja noch viel bessere Gelegenheit warten würde. Daraufhin setzte man den Weg murrend aber doch fortsetzend fort. Plötzlich kam das böse Erwachen! Für den Oheim wäre es beinahe das letzte gewesen, denn das Gasthaus hatte frecherweise an diesem Tag seinen Ruhetag. Eine grimmige Horde geifernder Weiber forderte daraufhin sofort den haarlosen Kopf des Oheims, der aber bereits in weiser Voraussicht das Weite gesucht und auch gefunden hatte. Als man dann die nächste Oase erreichte, war die Wut auch wieder verraucht. Von da an lief alles glatt und man kam gut am Endziel – der Waldschenke – an. Nach dem Mahle wählte man die öffentliche Droschke zur Rückkehr und hatte das Glück, den weithin unbekannten aber noch lebenden Bruder von Ayrton Senna – Waguscheid Senna – als Wagenlenker zugeteilt zu bekommen. Bei seiner Fahrweise ist es allerdings relativ unwahrscheinlich, daß er die Formel-1-Legende großartig überleben wird.
Mittwoch, 10. Juni 1998 Südtirol / Ofenbauer
Am Morgen machte man sich auf, um die Einkaufswut einiger Reisender zu stillen. Zu diesem Behufe wanderte man nun endlich den Tappeinerweg entlang. Da das normalerweise erwählte Rastlokal Ruhetag hatte (was auch sonst), verlegte man den Durst kurzerhand nach vorne und kehrte nach der gewaltigen Strecke von ca. 1/10 Kilometer im ersten Gasthof ein. In Meran geschah nichts außergewöhnliches. Nur der Oheim hatte eine geheime Unterredung mit dem Neffen Michael. Der Zweck dieser sollte sich dem Rest der Familie erst am Abend beim Ofenbauer erschließen. Wieder in der Unterkunft sah man sich das Spiel der brasilianischen Weltmeister gegen die Schotten an, das erste der beginnenden Welttitelkämpfe. Die Jungs vom Zuckerhut blieben wie erwartet siegreich. Hernach suchte man die Pension Ofenbauer auf, um dort ein wahrhaft deftiges Abendessen zu sich zu nehmen. Als dieses beendet war, geschah etwas wirklich historisches. Der ganze Clan war kräftig am Verdauen, als der Jungfärber Michael sich plötzlich zu einer hyperromantischen Tat emporschwang: Er erschien auf einmal mit Sekt und Rosen und machte seiner Angebeteten vor allen Leuten einen Heiratsantrag! Diese errötete zart und hauchte gerührt und voller Begeisterung „ nojo, scho…“. Welch’ majestä-tischer Moment!! Die Terminwahl war perfekt, weil zum einen die Altvorderen des Bittstellers ihren 26. Hochzeitstag begingen, zum anderen die Fußballweltmeisterschaft begann. Hinterher wurde noch etwas gefeiert.
Einige der jüngeren Edelleute blieben noch bis zum Morgengrauen, erlernten das „Heinerleslied“ oder fielen vom Stuhl.
Ach ja, der Tanz für das verlobte Paar fiel aus, weil der Bräutigam in spe mit dem Absingen von hebräischen Volksliedern wieder einmal sein Ziel erreichte und es erneut zu regnen begann.
Donnerstag, 11. Juni 1998 Ungerichthof / Greiterhof
Wieder einmal war uns das Wetter nicht besonders hold. So zauderte der fürstliche Troß, wohin man seine Schritte diesentags wenden sollte. Frau Inge, die bereits am Vortage frustriert versucht hatte, die Wand ihres Baderaumes mit der kleinen Zehe zu zertrümmern, jedoch nicht mit der trutzigen Bauweise gerechnet hatte und daher einen Fußnagel lassen mußte, konnte sowieso keine Wanderung mit ausführen. Man beschloß, den Ungerichthof anzulaufen, der für seine großen Portionen sowie famosen Berglandschaften bekannt ist. Ein neuer Weg sollte begangen werden. An der Abzweigung der angestrebten Strecke hatte der Heinerleschor seinen ersten öffentlichen Auftritt, der sogleich „La Montanara“ vom La-Montanara-Chor weit in den Schatten stellte. Dieser superbe Ohrenschmauß – das wohl über-ragendste Kulturereignis Südtirols in diesem Jahr – wurde verdientermaßen frenetisch bejubelt. Der Weg war so innovativ, daß er wegen der pfadfinderischen Meisterleistung des Oheims nach kurzer Wanderung an einem tosenden Bergstrom entlang in den bereits bekannten mündete. So konnte man sich zumindest nicht verlaufen. Da es dann (bereits am Ziel) für ungefähr drei Minuten in Strömen regnete, nutzte man die Gelegenheit und holte sofort die königlichen Rösser, um nach Hause zu reiten. Daß eine allgemeine Faulheit dazu führte, kann jedoch nicht bestätigt werden.
Hernach ruhte man, um die Herausforderung des Abends ertragen zu können, denn hierfür war der Aufstieg zum Greiterhof angesetzt. Die Fahrt dorthin was an und für sich bereits sehr waghalsig. Deshalb verzichteten sogar die Hartgesottensten darauf, sich übermäßig viel von dem dort gebrauten Gerstensaft in den dummen Hals zu bölken. Stattdessen nahm man eine Wagenladung davon mit, um sie an der heimischen Tränke wegzugurgeln. Nach dem Abendessen (das bei Pizzabäcker Sparber verzehrt wurde) hatte man wie bisher schon täglich hier in Dorf Tirol eine unheimliche Begegnung der dummen Art mit einem „Natural Born Asshole“. Dieser Ött der Woche ist der weit und breit unbeliebte, mercedesfahrende, dauerlabernde, tarngebißtragende und völlig untalentierte Harald-Schmidt-Imitator Laberheinz Sauwaaf. Dieser Nervtöter wäre in dieser Woche bereits einmal beinahe eines vorzeitigen unnatürlichen Todes gestorben, weil er aufgrund einer dummen Bemerkung bei Vollmond fast vom Familien-Werwolf Gerhard zerfleischt worden wäre. Gerhard konnte nur mit Mühe und einer Ein-Liter-Flasche Weihwasser zurückgehalten werden. Allerdings beschloß man, ihn fürderhin nicht einmal mehr zu ignorieren. Doch die Rache wird kommen, spricht der Herr. In diesem Falle der Herr Ernst…
Freitag, 12. Juni 1998 Meran / Dorf Tirol
Der letzte Tag. Heute machte sich jeder für sich bzw. in kleinen Gruppen auf die Socken, um die letzten Besorgungen bei den edlen Meraner Krämern zu machen. Die Gruppe des Oheims zum Beispiel suchte einen Laden auf, in dem es edles Geschmeide und sonstigen Tand zu erwerben gab. Nachdem man wieder einmal einige Zeit auf die Eigentümerin des Geschäftes gewartet hatte, weil am Eingangsportal die Öffnungszeit 10.30 Uhr angeschlagen war, das Zeiteisen aber schon 10.45 Uhr zeigte und trotzdem keine Sau da war, erschien die edel gewandete Besitzerin schlußendlich aber doch. Sie wies die resigniert herumstehenden Edelleute auf einen kleinen italienischen Schriftzusatz am Öffnungszeitenschild hin, der soviel bedeutete wie „ungefähr“ oder „vielleicht auch nicht“. Dann trat man ein und konnte zur allgemeinen Freude endlich das erwählte kostbare Geschmeide in Besitz nehmen.
Am Nachmittag suchten die entspannten Recken ihr Glück im Spiel. Sie begannen eine Partie „Kopf des stinkenden Wolltieres“, die in diesem Jahr jedoch nicht den bisher gewohnten Verlauf nahm. In den Vorjahren hatte jeweils der Oheim die mitzockenden Familienoberhäupter um einige Dukaten erleichtern können. Diesmal allerdings entleerten die beiden Färbers und Fredewart von Zelchingen diesem tüchtig die Börse. Er zeigte sich jedoch einsichtig und begann keine Schlägerei.
Am Abend labte man sich nochmals an den einheimischen Spezereien und ging, mit Ausnahme einiger junger Gesellen, relativ früh zur Ruhe.
Samstag, 13. Juni 1998 Heimfahrt über Reschenpaß
Bereits um 6.00 Uhr riß der mechanische Hahn die Reisenden aus dem Schlaf, da man den Heimritt frühzeitig antreten wollte. Alle schälten sich nach und nach vom Lager. Nur einer – der im Gemach des Oheims hausende Jüngling Dominik von Zelchingen – konnte nicht einmal durch Einsatz von Trommeln und Fanfaren erweckt werden. Er lag im Bett wie ein Untoter. Seine Augen starrten blicklos ins Lehre, aber es war keinerlei Leben in ihm. Man wollte schon fast den Abdecker holen, um den familiären Seifenbestand für das kommende Jahr zu sichern, doch wie durch ein Wunder konnte man den schwächelnden Jüngling dann doch noch in eine quasiaufrechte Position bringen, die es ihm erlaubte, den Heimritt einigermaßen wohlauf zu überleben.
Die Heimfahrt über den Reschenpaß und durch das Land der dummen Menschen verlief reibungslos und alle kamen unversehrt wieder im heimischen Reich an.
Südtirol Epilog
Die Reise über die Berge war wieder einmal ein voller Erfolg. Vor allem hat sich gezeigt, daß in der Familie ein ausgezeichneter Nachwuchs heranwächst, der eines Tages auch selbständig soweit sein wird, sich ohne fremde und erfahrene Hilfe im Ausland zu blamieren. Dafür sorgen Jünglinge und Fräulein, die sich zum Beispiel in einem Liegestuhl oder einer Schaukel verheddern oder auch vom Stuhl fallen, permanent ihren Geldbeutel suchen, Sachen namens „Breche“ entdecken oder zwielichtigen Gesellen die falschen Telefonnummern verraten. Man sieht also ganz klar: Die Zukunft des Clans ist gesichert! Und das ist schön…
Ende 1998
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Autor: Oheim 66(6)