Cannabis wird in der öffentlichen Debatte häufig als Einstiegsdroge bezeichnet – eine Substanz, die angeblich den Weg in den Konsum härterer Drogen ebnet.
Neue Perspektiven auf Cannabis in der Suchtbehandlung

Diese Sichtweise hält sich seit Jahrzehnten in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion. Doch neue wissenschaftliche Erkenntnisse und therapeutische Erfahrungen werfen ein differenzierteres Licht auf die Rolle von Cannabis im Zusammenhang mit Suchterkrankungen. Immer häufiger wird Cannabis nicht als Gefahr, sondern als potenzielles Hilfsmittel betrachtet – insbesondere als sogenannte Ausstiegsdroge, die Betroffenen den Übergang aus einer Abhängigkeit erleichtern kann.
Veränderte Rahmenbedingungen durch Gesetzesreformen
Legalisierung als Ausgangspunkt für neue Anwendungen
Mit dem Inkrafttreten des neuen Cannabisgesetzes, das Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) herauslöst, verändert sich die rechtliche Grundlage für Forschung, Anwendung und Therapie erheblich. Erwachsene dürfen unter bestimmten Voraussetzungen Cannabis legal besitzen und konsumieren, was nicht nur gesellschaftliche, sondern auch medizinische Konsequenzen mit sich bringt. Die Entkriminalisierung ebnet den Weg für neue Konzepte in der Suchtprävention und -behandlung.
Forschungsfreiheit stärkt therapeutische Innovation
Die neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen ermöglichen es Wissenschaft und Praxis, Cannabis intensiver zu untersuchen – insbesondere seine potenzielle Rolle bei der Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen. Erste Studien und Erfahrungsberichte aus der Praxis deuten darauf hin, dass der kontrollierte Einsatz von Cannabis dazu beitragen kann, den Konsum anderer, gefährlicherer Substanzen zu reduzieren oder ganz einzustellen.
Cannabis in der Substitutionstherapie: Möglichkeiten und Grenzen
Alternative zu Alkohol, Benzodiazepinen und Opiaten
Einige Therapeutinnen und Therapeuten setzen Cannabis gezielt ein, um Patienten mit Abhängigkeit von Alkohol, Benzodiazepinen oder Opiaten zu unterstützen. Die beruhigenden, angstlösenden und schmerzlindernden Eigenschaften bestimmter Cannabinoide – vor allem THC und CBD – können helfen, Entzugserscheinungen zu mildern, Schlafstörungen zu lindern und Cravings (Suchtdruck) zu reduzieren.
Besonders in der Behandlung von Alkoholabhängigkeit berichten Betroffene davon, dass ihnen der gezielte Konsum von Cannabis geholfen hat, den Alkoholkonsum zu beenden oder zumindest deutlich zu reduzieren. Auch in der Opiat-Substitution findet Cannabis als begleitende Maßnahme immer häufiger Beachtung.
Klinische Studien und Erfahrungsberichte
Die Forschungslage ist noch nicht abschließend, doch mehrere Studien deuten auf das Potenzial von Cannabis als harmreduzierende Substanz hin. So zeigte eine Untersuchung der University of British Columbia, dass der Einsatz von medizinischem Cannabis bei Patient*innen mit Opioidabhängigkeit mit einer geringeren Rückfallquote einherging. Auch die Zahl der notfallmedizinischen Behandlungen sank signifikant. In Kanada und einigen US-Bundesstaaten, wo medizinisches Cannabis legal erhältlich ist, wird es bereits in Rehabilitationsprogrammen eingesetzt.
Subjektive Erfahrungsberichte: Stimmen aus der Praxis
Patientenstimmen als wertvolle Ergänzung zur Studienlage
Neben wissenschaftlichen Daten spielen Erfahrungsberichte aus Selbsthilfegruppen, Therapien und sozialen Medien eine wachsende Rolle. Viele ehemalige Konsument*innen von Alkohol, Kokain oder Heroin berichten, dass sie durch den gezielten Einsatz von Cannabis den Ausstieg aus dem gefährlicheren Drogenkonsum geschafft haben. Dabei betonen sie meist, dass Cannabis ihnen dabei half, Ängste zu bewältigen, sozialen Druck zu mindern oder Schlafprobleme zu überwinden – alles Faktoren, die bei einem Rückfall eine zentrale Rolle spielen.
Warnung vor unkontrolliertem Selbstversuch
Wichtig ist jedoch zu betonen, dass der therapeutische Einsatz von Cannabis nicht ohne Risiken ist. Wer in Eigenregie versucht, seine Sucht mit Cannabis zu behandeln, läuft Gefahr, eine neue Abhängigkeit zu entwickeln oder bestehende psychische Probleme zu verstärken. Eine fachlich begleitete Anwendung – etwa durch Suchtberaterinnen, Psychotherapeutinnen oder spezialisierte Mediziner*innen – ist daher essenziell.
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Harm Reduction statt Abstinenzdogma
Ein Paradigmenwechsel in der Suchtmedizin
Lange Zeit galt in der Suchthilfe ein Abstinenzgebot als oberstes Ziel. Inzwischen hat sich die sogenannte „Harm-Reduction“-Strategie etabliert, die nicht mehr primär auf komplette Abstinenz, sondern auf eine Minimierung gesundheitlicher und sozialer Schäden abzielt. In diesem Kontext kann Cannabis als Substanz mit vergleichsweise geringem Risiko eine wichtige Rolle spielen – etwa als Alternative zu hochpotenten Medikamenten oder illegalen Drogen.
Integration in Therapieprogramme
Einige Einrichtungen der psychosozialen Betreuung und Drogentherapie prüfen derzeit, ob und wie sich Cannabis sinnvoll in bestehende Behandlungspläne integrieren lässt. Das Ziel: Die Rückfallgefahr verringern, Therapieabbrüche verhindern und die Lebensqualität der Patient*innen steigern. Dies kann über begleitende Beratung, ärztliche Überwachung und klare Konsumregeln geschehen.
Kritik und Bedenken: Kein Wundermittel
Gefahren einer Verharmlosung
Trotz aller potenziellen Vorteile darf Cannabis nicht als Allheilmittel missverstanden werden. Kritiker warnen davor, die Risiken des Cannabiskonsums zu verharmlosen – insbesondere bei Jugendlichen, Menschen mit psychiatrischen Vorerkrankungen oder in Verbindung mit Mischkonsum. Auch das Risiko einer psychischen Abhängigkeit ist nicht zu unterschätzen, wenn der Konsum unkontrolliert erfolgt.
Forderung nach klaren Leitlinien
Fachverbände und Mediziner*innen fordern deshalb verbindliche Leitlinien für den therapeutischen Einsatz von Cannabis bei Suchterkrankungen. Diese sollten Kriterien für Indikation, Dosierung, Konsumform und begleitende Maßnahmen enthalten. Nur so kann eine verantwortungsvolle Anwendung gewährleistet und gleichzeitig Missbrauch vorgebeugt werden.
Ausblick: Cannabis als Baustein in der modernen Suchttherapie
Potenziale weiter erforschen
Die Diskussion um Cannabis als Ausstiegsdroge steht noch am Anfang. Erste Erkenntnisse sind vielversprechend, doch es bedarf weiterer wissenschaftlicher Studien, klarer Richtlinien und einer umfassenden Aufklärung, um dieses Potenzial verantwortungsvoll zu nutzen. Wenn Cannabis als Ergänzung zu bestehenden Therapieansätzen verstanden wird – nicht als Ersatz –, kann es für viele Menschen ein wertvoller Bestandteil im Genesungsprozess sein.
Gesellschaftlicher Diskurs notwendig
Gleichzeitig muss die gesellschaftliche Debatte rund um Cannabis differenzierter geführt werden. Es geht nicht um Verherrlichung oder Verharmlosung, sondern um einen sachlichen Umgang mit den realen Chancen und Risiken. Aufklärung, Prävention und individuelle Betreuung müssen Hand in Hand gehen, damit Cannabis dort helfen kann, wo herkömmliche Methoden an ihre Grenzen stoßen.
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Autor und Bild: Canna-Chad Gregor Paul Thiele
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